Konsum von kommerziellen Gütern ist ein Genuss- und Lust-Generator, der käufliche Momente der Unbeschwertheit in den Alltag trägt. Nur wenige andere Mittel machen es so leicht, das „Mir geht’s doch gut!“-Gefühl zu erzeugen.
Sonderbare Form der sozialen Einbindung
Konsumkulte bringen Trends und Stilformen hervor, die viele Menschen gemeinsam haben. Man teilt gewisse konsumistische Vorlieben, zelebriert sie in sozialen Gesten, Routinen und profanen Zeremonien. Damit generiert eine Art Lebensstil und stellt so offenkundige Gemeinsamkeiten mit anderen Personen her, in seinem sozialen Umfeld und weit darüber hinaus.
Selbst wenn man mit den Menschen dieser Bezugsgruppe konkret kaum zu tun hat, fühlt man sich dennoch als Teil einer Gemeinschaft – die abstrakt ist und das spannungsreiche Auf und Ab lebendiger Beziehungen nicht kennt. So ist Konsum eine besonders belastungsarme Form, sich zumindest die Illusion zu verschaffen, sozial eingebunden zu sein.
Soziokultureller Lebensraum.
Folglich hat z.B. Branding heute einen hohen, buchstäblich soziokulturellen Stellenwert. Schon Jugendliche und Kinder kommen mittels gemeinsamer Marken-Vorlieben – verkörpert durch Sneakers, Bekleidung, Elektronik-Tools, Sport-Equipment u.v.m. – zusammen und bilden szenische Gemeinschaften, die sich willentlich von anderen abheben.
Neben den materiellen spielen mediale Produkte, die überwiegend via Internet verbreitet werden, eine Rolle. Als konsumistische Sozial-Magnete erzeugen sie eine unüberschaubare Vielfalt an User- und Fan-Gemeinden, die virtuell in ihren speziellen Formen kommunizieren.
Für nicht wenige Bürger:innen ist die Konsumgesellschaft mit ihren – realen und virtuellen – Symbolen, Narrativen und Ritualen der primäre soziokulturelle Lebensraum.
Im Erleben großer Teile der Bevölkerung trägt Konsum in kultischen Formen wohl mehr zu gesellschaftlicher Gemeinsamkeit bei als beispielsweise die Künste oder Gewerkschaften, religiöse Zeremonien, nachbarschaftliche Aktivitäten – oder Demokratie.
Klima. Krise. Kurs-Korrektur?
Fatal ist: Das Kult-System „Konsum“ ist einer der mächtigsten Treiber der eskalierenden Klima-Veränderung.
Die Gleichsetzung von Konsum mit Lebensqualität erzeugt eine Spirale des Massenkonsums, mit permanent beschleunigtem Ressourcenverbrauch – Stichworte: Reduktion der Produktlebenszyklen. Lust- und Frust-Käufe. Fast Fashion. Wegwerfprodukte.
Wegwerfen. Lebensmittel, die nicht verzehrt werden sondern vom Kühlschrank direkt in den Müll gelangen, zählen in Industrienationen zu den größten Treibhausgas-Emittenten.
Wenn wir das drohende Klima- und Umwelt-Desaster durch moderative Maßnahmen abwenden wollen… benötigen wir einen gesellschaftlichen Wandel, der von Konsument:innen – also der gesamten der Bevölkerung – getragen und vorangetrieben wird.
Wird unser Lebensstandard schwinden?
Opulente Konsum- und Komfort-Optionen gelten als Zeichen für besondere Lebensqualität, für prosperierende Wirtschaft, Sicherung der Arbeitsplätze und Gradmesser des persönlichen Einkommens. Nicht zuletzt ist die persönliche Konsumpotenz ein Prestigefaktor im jeweiligen sozialen Milieu.
Die notwendig gewordene Änderung der Lebensweise und Konsumgewohnheiten kommt für viele Menschen dem Entzug ihrer soziokulturellen Heimat gleich. Dieses sozialpsychologische Problem ist eine der höchsten Barrieren im Prozess der gesellschaftlichen Transformation.
Frustrierende Zukunftsperspektiven diskreditieren in den Augen der Bürger:innen die Parteien, denen sie die Verantwortung für evtl. schwere Zeiten anlasten. Ihre Mittäterschaft als Konsument:innen übersehen viele geflissentlich.
Realitätsverleugnung.
Viele Menschen im Land strafen gerade jene Parteien und Politiker:innen, die die Klima-Krise engagiert thematisieren, mit hitzigen Aversionen. Aus Sorge um die Sympathie der Wähler:innen sprechen politische Parteien im Kontext Klima, Umwelt und Wandel viel über notwendige wissenschaftliche, technologische, wirtschaftliche und politische Maßnahmen – sagen aber wenig zur Mitverantwortung der Bürgerinnen und Bürger am konstruktiven Wandel.
Konsument:innen bleiben außen vor. So wird, aus begründeter Furcht vor Wahlniederlagen, gerade die Gruppe ausgespart, die auf absehbare Zeit das größte Potenzial zu zeitnahen Verbesserungen pro Klima und Umwelt hätte.
Jene Bürger:innen, die die durchaus existenzielle Krise verleugnen, fallen als Unterstützer eines konstruktiven Wandels vorläufig aus. Oft sabotieren sie ihn sogar. Die Gesellschaft kann es sich jedoch nicht leisten, die Verweigerung der bisherigen Opponenten dauerhaft hinzunehmen.
Zukunft, soziale Heimat und Soziokultur.
Die Klima- und Umwelt-Herausforderung hat die Dimension einer zivilisatorischen Krise. Ihre Ursache liegt in unserer Lebensweise und den dazugehörigen wirtschaftlichen und technischen Mechanismen. Konsum in der heutigen Form treibt die Krisen-Eskalation an.
Konsumgewohnheiten zu verändern ist vernünftig nur dann machbar, wenn Bürger:innen attraktiven Ersatz in Reichweite haben. Als wertvolle Alternative bietet sich sinnerfülltes Gemeinschaftsleben an.
Menschen sind Gemeinschaftswesen. Sinnerfülltes Miteinander entkoppelt glückliches Leben von materiellen Gütern. Dies trifft besonders dann zu, wenn eine Gemeinschaft hohen Risiken ausgesetzt ist – und sie unter kritischen Bedingungen kollektive Handlungsfähigkeit beweist und die Gefährdung gemeinsam überwunden wird. Menschen, die Herausforderungen miteinander angehen und ihre Lebenswelt gemeinsam verändern, gestalten und festigen ihre soziale Heimat.
Wir haben eine solche Gefährdungslage. Was uns noch fehlt, ist die Fähigkeit zu gemeinschaftlichem, zielorientierten Handeln.
Als Taktgeber für den diesbezügliche Prozesse kommen weder die Politik noch die Wirtschaft in Betracht; beide sehen keine Zuständigkeit für die soziokulturelle Entwicklung der Gesellschaft.
Die Zivilgesellschaft ist der Sektor der Gesellschaft, der durch Bürgerinnen und Bürger gebildet wird, die sich freiwillig, gemeinschaftlich und ohne persönlichen Profit für das Gemeinwohl engagieren.
Wer wenn nicht die Zivilgesellschaft könnte die gesellschaftliche Transformation zur moderaten Gestaltung des Wandels vorantreiben?
(24-08, FfE / rh)