Menschen vereinsamen mehr und mehr, besonders im urbanen Raum. Im Herzen der Welt-Metropole Hamburg auf dem Bahnsteig der U-Bahnstation Emilienstraße findet sich ein Gegenmittel: ein kleiner Kiosk. Dort können Passanten mit jemandem teilen, was sie bewegt – es wird ihnen zugehört …
Zum Miteinander gehört: gehört werden
In einer kalten, auch von Hektik geprägten Umgebung, wo man sonst vielleicht nur mit sich und seinem Smartphone beschäftigt ist, hat jemand einen Ort geschaffen, an dem einem unerwartet menschliche Wärme und Zugewandtheit entgegengebracht wird. Das Plakat im Fenster verspricht: „Ich höre Ihnen zu“.
Wildfremde Menschen berührt dieses Angebot, en passant, zwischen zwei Gleisen und ein paar Zügen. Die Aufmerksamkeit ist geschenkt, als würde man über den Zaun mit dem Nachbarn klönen. Irgendwie vertraut wirkt auch der kleine Kiosk – improvisiert ausgestattet, minimalistisch, essenziell. Und so fällt das Eintreten leicht.
Zusammen leben fördern
Keine Experten, keine Therapeuten oder Sozialarbeiter. Keine Professionalität, keine Geschäftsmäßigkeit. Diejenigen, die zuhören, sind Menschen wie du und ich: „Wir sind unter uns“.
2018 begann der Drehbuchautor Christoph Busch mit seinem Experiment. Ursprünglich wollte er in Gesprächen Stoff für eigene Arbeiten sammeln. Bald hörte er nur noch zu und gab dem Drang der Menschen nach – sie wollten erzählen.
Mit dem Erfolg war kaum zu rechnen, die „Nachfrage“ war beachtlich. Genauso die Bereitschaft, für andere ganz Ohr zu sein unter der Erde von Hamburg. 15 Ehrenamtliche sind inzwischen montags bis freitags von 12 bis 18 Uhr im Kiosk am Zuhören.
Design ohne Ambition
Eine wesentliche Funktion von Social Design ist, Menschen zu helfen, aufeinander zuzugehen. Dazu braucht es Akteure wie Christoph Busch, die einfühlsam Interesse für andere Menschen mitbringen und subtil den Rahmen gestalten.
Die Anmutung der Umgebung, von Objekten und Medien kann entscheidend helfen, Vertrauen in das Miteinander zu festigen. Gerade das Fehlen jeglicher Ambition schafft die Situation, die arglos, unbefangen auf uns zukommt. Manchmal bewirkt gerade das Glanzlose oder Gebrauchte, dass Anonymität schwindet und Vertrautheit entsteht: ein Kiosk, der „schon immer“ da war. Ein handschriftliches Plakat: „Ich höre Ihnen zu“.
Fortsetzung folgt
„Zuhören“ liegt nahe. Der Verlust menschlicher Nähe ist gerade in Städten ein brennendes Thema. Disruptiver Wandel und Pandemie verschärfen das Problem.
Inspiriert vom Hamburger Zuhör-Kiosk richteten Marianne Rätzsch und Harald Hüttmann, beide pensionierte Lehrer, in Berlin- Kreuzberg am U-Bahnhof Südstern einen Begegnungsort ein. Sie docken an einen Kiez-Kiosk an, den Mitglieder des Vereins „Bürgergenossenschaft Südstern“ 2016 mit einem Baucontainer kreierten.
Die Münchner Gruppe hey GmbH nutzt mobile Einrichtungen wie ein transportables Häuschen. Unter dem Motto „Momo hört zu“ setzt hey allerdings auf Professionalität in der Gestaltung der Orte und die Ausbildung von Zuhörenden.
Beim Wettbewerb 2020 des Bundesministeriums für Bildung und Forschungwurden unter 1000 Einreichungen 30 Ideen ausgesucht, die finanzielle Förderung für die Weiterentwicklung erhielten. hey gehörte dazu.
Lioba Geggerle / crh